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Königreich Bayern

Von den süddeutschen Ländern blieb einzig das Königreich Bayern dem alten Kaliber 13,9 mm treu und rüstete dessen Truppen mit eigenen Handfeuerwaffen aus. Noch vor dem Krieg von 1866 wurden Versuche zur Umrüstung der alten Vorderladergewehre mit Hinterladermechanismen angestellt, die jedoch erst nach der Niederlage gegen Preußen wieder aufgenommen wurden.

Das Königreich Bayern entschied sich, im Gegensatz zu den anderen Ländern zur Entwicklung eines eigenen Verschlusssystems, das stark auf den Entwicklungen des Konstrukteurs Lindner beruhte. König Ludwig II. genehmigte am 11. September 1867 den Umbau von ca. 100.000 Perkussionsgewehren M/58 in ein bayerisches Hinterladermodell M/58/67.[36] Erste Versuche mit dem umgerüsteten Gewehr führten jedoch zu wenig positiven Rückmeldungen, was vor allem an der noch ungenügenden Patrone lag. Zwar wurde die Patrone weiter optimiert, doch blieb vor allem das Zündhütchen nicht immer haften, so dass die Soldaten manuell nachhelfen musste. Vor Gefechten lösten die Soldaten oftmals auch die Zündhütchen aus den Patronen und steckten sie in ihre Hosentaschen. Kommandeure ließen ihre Einheiten vor Einsätzen daher auch "Ablodern", d.h. das Verpuffen eines Zündhütchens und Nachhelfen mit der Räumnadel. Diese Mängel führten auch dazu, dass mit dem bayerischen Hinterladermodell M/58/67 selbst erfahrene Infanteristen nicht mehr als fünf Schuss pro Minute abgeben konnten.

"Oft versagte schon nach dem 6. Schusse der Mechanismus, indem in das Gewinde des Verschlusses (‚der Kaffemühle‘, wie ihn der Soldatenwitz bezeichnete) eingedrungener Sand oder Pulverschleim, Papierrückstände, gefrornes Schmiermaterial (z.B. Hammelfett) das Vor- und Zurückziehen des Cylinders verhinderten."[37]

Zudem wurden bei den ersten Versuchen die Ladestöcke mehrfach „herausgeschossen“, so dass diese in den optimierten Modellen die Stöcke mittels Gewinde in der Nut festgeschraubt werden konnten.[38]

Mit Beendigung der Umrüstaktion verfügte das Königreich Bayern Ende 1867 über insgesamt 110.000 Exemplare des Modells M/58/67, das auch nach dem Direktor der Waffenfabrik in Amberg als „Podewils-Gewehr“ bezeichnet wurde.[39] Jedoch erfreute sich selbst das nach den oben erwähnten Versuchen optimierte Gewehrmodell immer großer Zufriedenheit, wie der Chronist des 11. Infanterie-Regiments eindrucksvoll für den 5.-6. Dezember 1870 berichtet: 

"Die Gewehre befanden sich in einem jämmerlichen Zustand. Hatten doch ‚die Kompagniechefs schon im Frühjahr 1870 gemeldet, daß die Podewilsgewehre für dieses Jahr zur Not noch das Scheibenschießen aushielten, bis zum nächsten aber jedenfalls dazu unbrauchbar sein würden. Und mit diesen Gewehren mußte man den ganzen Feldzug mitmachen!‘ Abgesehen von der geringen Tragweite und Treffgenauigkeit zeitigte auch die Ladeweise empfindliche Übelstände. Die Patronenhülse bestand aus Papier, bei nasser Witterung wurde sie weich und riß beim Hineinschieben in den Lauf. Dann war ein guter Rat teuer! Die Kugel steckte im Lauf, das Pulver rieselte in den Verschluß und auf den Boden. Das Zündhütchen war in einer Einlassung des Patronenbodens untergebracht, mußte daraus mit dem Fingernagel vorgeholt und dann auf den Hahn gesetzt werden, ein schwieriges Ding für erstarrte Finger, und oft schlug der Feuerstrahl des ersten Hütchens nicht durch die feuchte Hülse. Den braven Soldaten setzte dieses Zerrbild einer Kriegswaffe nicht selten in peinliche Verlegenheit, dem Drückeberger aber konnte es zu erwünschtem Anlaß dienen, ‚auszutreten‘."[40]

Parallel zur Umrüstung der alten Podewils-Gewehre in Hinterladermodelle wurde in Bayern das Gewehr "Werder" M/69 entwickelt, das mit 11 mm ein noch kleineres Kaliber besaß, jedoch mit vollständig aus Metall hergestellten Patronen beladen werden konnte, deren Hülsen zudem noch automatisch ausgeworfen wurden. Dieses wegen der damit verbundenen hohen Schussrate auch „Blitz“-Gewehr genannte Modell dürfte die 1870/71 beste Gewehr-Konstruktion zumindest in Europa gewesen sein.[41] Geübte Schützen konnten pro Minute bis zu 22 Schuss bei 20 Treffern abgeben.[42] Das Werder’sche Gewehr wog etwa 4,3 kg, mit aufgesetztem Yatagan 5 kg, und hatte eine Länge von 1,31 Meter, bei aufgesetztem Yatagan von 1,79 Meter.

 

Werder-Gewehr M/69 (Quelle: Wiki-Commons, Schwedisches Armeemuseum)

  

Jedoch konnten mit Ausbruch des Krieges nur wenige Einheiten, vornehmlich Jäger-Bataillone, mit dem neuen Gewehr M/69 ausgerüstet werden. Mit dem Gewehr mobilisiert und in das Feld geschickt wurden die bayerischen Jäger-Bataillone 2, 5, 9 und 10. Anfang Oktober rückten die dritten Bataillone der Infanterie-Regimenter 12 und 13 und Ende Dezember das I. Bataillon vom 4. Infanterie-Regiment sowie das II. Bataillon des 8. Infanterie-Regiments mit dem neuen Gewehr nach. Anfang Januar 1871 wurden dann die bei der Festung Bitsch eingesetzten Einheiten vom 4. und 8. Infanterie-Regiment ebenfalls mit dem Werder-Gewehr ausgestattet. Ende Oktober 1871 waren schließlich fast alle Infanterie- und Jäger-Bataillone mit M/69 bewaffnet.[43]

 

Bayerische Infanterie in Frankreich 1870/71. Der liegende Soldat, erste Reihe vierter von rechts, hält ein Werder-Gewehr.
(Sammlung Jérome Lantz; Abbildung kann mit dem Mauszeiger vergrößert werden)

 

Die bayerischen Chevaulegers legten mit Verfügung vom 11. Juli 1863 die bisher genutzten Karabiner ab und behielten nur die Vorderladerpistole M/43. Doch sollten zumindest für den Vorpostendienst auch ausgewählte Kavalleristen mit einem Karabiner ausgestattet werden. Da der berechnete erste Bedarf von 4.000 Karabinern und Pistolen des neuen Werder-Systems nicht geliefert werden konnten, wurden noch im August 1870 zumindest 500 Zündnadel-Karabiner des preußischen Modells M/57 von Preußen erbeten. Noch vor Ende August wurden an die Depots der sechs Chevaulegers-Regimenter 80-90 Karabiner ausgeliefert, die den Feldschwadronen nachgeschickt werden sollten.[44]

Für das 6. Chevaulegers-Regiment wird beschrieben, dass "die Ersatzabteilung gleichzeitig 90 Zündnadelkarabiner nebst Zubehör überbrachte, welche ebenso wie die Ersatzmannschaften, sofort an die 2. und 3. Eskadron verteilt wurden. Ein gerade daherkommender preußischer Husaren-Unteroffizier erklärte schnell die Lademanipulation und den sonstigen Gebrauch des Karabiners, durch die Eskadronssattler wurden die Karabinerschuhe und Trageriemen an den Sätteln befestigt und in kurzer Zeit war man mit der neuen Waffe wohl vertraut."[45] Die nicht mehr benötigten 90 Pistolen wurden an die Depots zurückgesandt. Im 5. Regiment berichtet der Offizier Leinenweber am 29. November 1870, dass "vor einigen Tagen preussische Karabiner beim Regiment zur Verteilung kamen und die überlassene Stückzahl reichte für die vierten Züge, sogenannte Schützenzüge aus. Sofort wurde das Lederzeug zum Anbringen am Sattel hergerichtet und die ganze Mannschaft der Eskadron mit dem Karabiner einexerziert und nach Erlernung der Handgriffe Uebungen im Scharfschiessen vorgenommen."[46]

Allerdings wurden die ausgegebenen Karabiner nur als Notlösung verstanden, da "der Mangel an einer guten Schußwaffe sich während des ganzen Feldzuges sehr unangenehm fühlbar machte. Jene 90 Stück Zündnadelkarabiner, welche das Regiment am Schlachttage von Sedan empfing, gewährten insofern wenig Vorteil, als man deren 400 gebraucht hätte … Das Pistol der Mannschaft konnte kaum als Alarmwaffe, geschweige denn als Schußwaffe in Betracht kommen."[47]

Die Ulanen führten neben der Lanze nur noch die glattläufige Vorderladerpistole M/43. Bei den Kürassieren waren die Mannschaften und Unteroffiziere ebenfalls mit dieser Pistole bewaffnet, einzig Trompeter und der Unterstab waren mit, für Zündhütchenfeuer modifizierten, Modellen M/43 und M/45 bewaffnet.[48]

Auch die bayerische Artillerie und das Fuhrwesen war 1870 hauptsächlich mit den alten Pistolen bewaffnet, teilweise umgerüstet für das Schießen mit Zündhütchen. Zwar wurde für die Artillerie die Bewaffnung mit einem kurzen Karabiner zum Umhängen angeregt, was jedoch bis Kriegsausbruch nicht zur Umsetzung gelangte.[49]

Da auch die Pioniere des Genie-Regiments nicht mit den vorgesehenen Werder-Gewehren M/69 ausgerüstet werden konnten, rückten die Feld-Genie-Kompanien mit dem alten Zündhütchen-Gendarmeriegewehr M/44 ins Feld. Dieses wurde jedoch schnell durch erbeutete Chassepot-Gewehre ausgetauscht.[50]