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Preußische Geschütze im Einsatz

Bei der Vorstellung des französischen Artillerieoffiziers als Protagonist des Krieges von 1870/71 wurde schon das Zitat eines französischen Generals über die Wirksamkeit der deutschen Artillerie zitiert. Dieses untermauert den heute noch akzeptierten Grund für den Sieg der deutschen Truppen über die französische Armee, denn die Überlegenheit der preußisch-deutschen Artillerie sowohl in technischer als auch in taktischer Hinsicht. Vor allem durch ihren Einsatz nahe den vorrückenden Verbänden konnte zu einem taktischen Übergewicht auf den Gefechts- und Schlachtfeldern führen. Dieser großen Bedeutung stehen die nur gering verfügbaren Quellen aus Memoiren und Bildmaterial entgegen. Zwar existieren zahlreiche zeitgenössische Fotos von Artilleristen mit ihrem Material oder erbeuteten Geschützparks, jedoch nur wenig mit einer Darstellung im Felde.

Geschütz der Batterie Leo im Rheinischen Feld-Artillerie-Regiment Nr. 8 (Sammlung Kölnisches Stadtmuseum)Umso erfreulicher ist der Nachlass der "Batterie Leo", die heute im Kölnischen Stadtmuseum aufbewahrt wird. Diese Mappe enthält zahlreiche Fotos, die von Angehörigen der Batterie - meist den Offizieren und Unteroffizieren - angefertigt wurden, aber auch von Fotos mit der taktischen Aufstellung von Geschützen sowie ihres Fuhrparks. Die Batterie Leo wurde gemäß preußische Rang- und Quartierliste von 1870/71 als zweite leichte Fuß-Batterie geführt und ist nach ihrem Kommandeur, dem Hauptmann Eugen Leo benannt. Die Charakterisierung als leichte Batterie beschreibt die Bestückung mit sechs Vierpfünder-Geschützen Kaliber 8 cm der Modelle C/64 und C/64/67 - im Gegensatz zu den "schweren Batterien" mit Sechspfünder-Geschützen Kaliber 9 cm des Modells C/56/61.

Das hier präsentierte Foto aus der in Köln erhalten gebliebenen Fotomappe zeigt ein Vierpfünder-Geschütz mit der vorschriftsmäßigen Anordnung von sechs Artilleristen, eine Aufnahme die während des Krieges in Frankreich wohl gestellt wurde - wegen des Tragens der Mäntel wahrscheinlich während der kälteren Jahreszeit Anfang 1871. In den Erinnerungen "Von Stade bis Gravelotte" des Artilleristen Friedrich Freudenthal, erschienen 1898, eine der seltenen Memoiren aus den Reihen der Artillerie, findet sich im Kapitel zur Schlacht von Gravelotte eine Beschreibung der Tätigkeiten, die von den sechs Artilleristen eines Geschützes ausgeübt werden sollten. Freudenthal diente zu dieser Zeit in der 3. schweren Fuß-Batterie des Schleswig-Holsteinischen Feld-Artillerie-Regiments Nr. 9 und schreibt zur Bedienung aus Ausstattung:

Vierpfünder-Geschütz der preußischen Artillerie 1870/71"Bevor ich weiter erzähle, mag hier noch eine kurze Erklärung dessen folgen, was damals eine Geschützbedienung zu thun hatte. Rechts von dem (mit der Mündung nach dem Feinde gekehrten) Geschütz stand Kanonier Nr. 1, meistens ein Gefreiter, er hatte das Geschützt auf Kommando des Zugführers mittelst Schlagröhre und Abzugsschnur abzufeuern; Nr. 2, der Obergefreite, hatte seinen Platz links am Geschütz, er handhabte den Verschluß und besorgte vermittelst des abnehmbaren, auf die Entfernung eingestellten messingenen Aufsatzes (Visir) und der unter dem Bodenstück des Rohres angebrachten Richtschraube die Richtung des Geschützes, wobei der Kanonier Nr. 3 ihm Hilfe leistete, indem derselbe mit dem an der Lafette befindlichen Hebebaum dem Geschütz die vom Obergefreiten angedeutete Seitenrichtung gab, Nr. 3 hatte auch noch das Auswischen des Rohres, sowie das Ansetzen der Ladung zu besorgen; Nr. 4 entnahm unter Beistand von nr. 5 der Protze Granaten und Kartuschen und trug sodann die Granate aufrecht auf dem linken gebogenen Arm zum Geschütz, wo wie, bevor sie in das Rohr gelangte, von dem Geschützführer (Unteroffizier) mit Zündschraube und Vorstecken versehen wurde. Kanonier Nr. 6 diente als Reserve, er mußte eintreten, sobald von der Bedienung ein Mann als kampfunfähig ausfiel.
Das Geschütz war bespannt mit sechs Pferden und wurde von drei Kanonieren, dem Vorder-, Mittel- und Stangenreiter, gefahren. Die Sechspfündergranate, ein cylindrisches Geschoß aus Gusseisen, wog, wenn ich nicht irre, etwa 13-14 Pfund; sie zersprang infolge der an ihrer Spitze und in ihrem vorderen Teile angebrachten Zündvorrichtung sofort beim Aufschlage und zwar in 20-30 Stücke, die kegelartig nach vorwärts geschleudert wurden. Wir führten an Munition in der Protze 30 Granaten und 3 Kartätschen, im Munitionswagen 63 Granaten, eine Kartätsche für den Notfall steckte in einem Lederfutteral an der Lafette. Die Kartätsche, eine Büchse aus starkem Weißblech, enthielt 41 Kugeln aus Zink."

Freudenthal gibt in seinen Erinnerungen einen lebhaften Eindruck des Einsatzes bei der Schlacht von Gravelotte vom 18. August 1870, aus dem in Ausschnitten die folgenden Hinweise auf den (taktischen) Einsatz der preußischen Artillerie gegeben werden:

"Unsere ersten Schüsse wurden etwas übereilt abgegeben, auch zeigte sich bald, daß die Entfernung vom Hauptmann zu kurz abgeschätzt war. Die Aufregung war zu groß. Das Ungewohnte der links und rechts einschlagenden und krepierenden Granaten, das Zischen der an uns vorbeisausenden Geschosse, das Stöhnen der Getroffenen - das alles versetzte uns in eine leicht erklärliche Erregung. Auf ein Ziel, welches wieder schießt, zu feuern, ist eben eine andere Sache, als auf der Heide mit wohlgezielten Schüssen eine friedfertige Bretterwand zu durchlöchern ...
Das Feuer unserer Batterien wurde bald ein heftiges. 54 Geschütze standen in einer Linie aufgefahren und machten einen Lärm, daß man oft den Knall des eigenen Rohres gar nicht vernahm; es war ein unaufhörlicher Donner, ein Krachen, wie ich es nie zuvor in meinem Leben gehört hatte ...
Nach und nach begann es an Bedienung zu fehlen. Zu viele Kameraden wurden tot niedergestreckt oder durch eine Verwundung kampfunfähig gemacht. Bei unserm Geschütz schlug eine Granate zwischen die Stangenpferde, drei Pferde wurden zerschmettert und die ganze Bespannung geriet in heillose Verwirrung. Der Stangenreiter wurde von dem todwunden Pferd weit weg geschleudert ... auch der Mittelreiter wurde schwer am Arm verwundet und verließ das Geschütz ... Bald darauf wurde Kanonier Nr. 3 durch einen Schuß in den Unterleib tödlich verwundet ... Nun kam die Reihe an Kanonier Nr. 4, er erhielt einen Schuß durch den Fuß und mußte das Geschütz verlassen. Kaum war Kanonier Nr. 5 an des letzteren Stelle getreten, als auch dieser tödlich getroffen wurde ... Zur Bedienung des Geschützes waren jetzt außer mir noch vorhanden der Unteroffizier und Geschützführer Fiedler und der Kanonier Engelhardt; bei dem Gespanne befand sich noch unversehrt der Fahrer Odebrecht ...
Kanoniere der Batterie Leo im Rheinischen Feld-Artillerie-Regiment Nr. 8Hinter den Geschützen in einiger Entfernung war die erste Wagenstaffel, bestehend aus sechs Munitionswagen, aufgefahren. Die zu diesen Wagen kommandierten Mannschaften schwanden schon bald nach Beginn des Gefechts dahin wie Butter an der Sonne. Diese Leute "konzentrierten sich rückwärts" und sammelten sich meistens bei der zweiten Wagenstaffel (Vorratswagen, Feldschmiede usw.), die etwa 2-3000 Schritt entfernt hinter einem Gehölz aufgefahren war. Hier war die Gefahr, mit einem feindlichen Geschoß nähere Bekanntschaft zu machen, ja allerdings auch noch weit geringer, als in der Front der ersten Wagenstaffel, wohin sich ja dann und wann noch zu weit gehende feindliche Granaten verirrten. Der Ersatz, der uns von diesen Mannschaften gestellt werden mußte, blieb aus, niemand ließ sich bei uns sehen, wir, die wir zur Bedienung der Geschütze kommandiert waren, blieben unserem Schicksal überlassen und mußten uns fast bis auf den letzten Mann zusammenschießen lassen, während doch hinter uns so viele Leute vorhanden waren, daß die ganze Geschützbedienung vollständig hätte ersetzt werden können.
In der Garnison war uns gelehrt worden, daß Artillerie stets Infanterie oder Kavallerie zur Bedeckung zugeteilt erhalte. Ich habe am 18. August von dem Eingreifen einer solchen Bedeckung nichts gesehen. Kavallerie, wenn man sie in jenen Stunden auf den Höhen von Champenois hätte verwenden wollen, wäre allerdings dem sichern Verderben entgegen gegangen. Infanterie hätte uns meines Erachtens sehr nützlich sein können, sie hätte vor uns in der Niederung ausschwärmen und uns die feindlichen Tirailleure, die jeden einzelnen am Geschütz arbeitenden Mann aufs Korn nahmen, vom Halse halten können."

Im ersten Band zur Uniformierung und Ausrüstung der Armeen des Deutsch-Französischen Krieges finden sich neben einer ausführlichen Darstellung der Organisation und Uniformierung der preußischen Artillerie auch weitere Fotos aus der Mappe zur Batterie Leo, mit denen der Einsatz der Artillerie im Felde deutlich wird.

Die Fahne (Standarte) ist das Symbolum der militairischen Ehre ...

... ihr werden daher auch die höchsten militairischen Honneurs erwiesen.

Fahne des Königs-Grenadier-Regiment Nr. 7 am 18.1.1871So steht es einleitend im Abschnitt zu Auszeichnungen und insbesondere den Fahnen und Standarten in Heerwesen und Infanteriedienst der Königlich Preußischen Armee von Witzleben (Ausgabe von 1869, Seite 450). Zwar wurden Offiziere und Soldaten nicht direkt auf die Fahne "eingeschworen", doch musste bei ihrem Eid die Fahne bzw. Standarte mit zugegen sein. Mehrere Rekruten wurden meist feierlich in einer Kirche vereidigt, einzelne Soldaten konnten diesen Eid mit Auflegen der linken Hand auf die Fahne oder ersatzweise auf die Seitenwaffe des anwesenden Offiziers schwören. Im Abschnitt zum Infanteriedienst des Werkes von Witzleben findet sich auf Seite 59 die Eidesformel gemäß A.K.O. vom 5. Juni 1831:

"Ich N.N. schwöre zu Gott dem Allwissenden und Allmächtigen einen leiblichen Eid, daß ich Sr. Majestät dem Könige von Preußen, Wilhelm I., meinem allergnädigsten Landesherrn, in allen Vorfällen, zu Lande und zu Wasser, in Krieges- und Friedenszeiten, und an welchem Orte es immer sei, treu und redlich dienen, Allerhöstdero Nutzen und Bestes befördern, Schaden und Nachtheil aber abwenden, die mir vorgelesenen Kriegs-Artikel und die mir ertheilten Vorschriften und Befehle genau befolgen und mich so betragen will, wie es einem rechtschaffenen, unverzagten, pflicht- und ehrliebenden Soldaten eignet und gebührt. So wahr mir Gott helfe durch Jesum Christum."

Für Katholiken war der Eidesschluss "So wahr mir Gott helfe und sein heiliges Evangelium." vorgesehen. Juden, die in den Militärdienst traten, mussten nach A.K.O. vom 20. Oktober 1819 eine modifizierte, diskriminierende Eidesformel schwören:

"Ich N.N. schwöre, ohne die mindeste Hinterlist und Nebengedanken, auch nicht nach meinem etwaigen darin liegenden Sinn und Auslegung der Worte, sondern nach dem Sinn des Allmächtigen und dessen Gesalbten, unsers theuren Königs, bei dem Namen des heiligen allmächtigen Gottes, daß ich Sr. Majestät dem Könige von Preußen ... So wahr mir Gott helfe zur Seligkeit."

Die A.K.O. vom 19. Mai 1862 schrieb vor, dass mit Ausnahme der Jäger-, Artillerie- und Pionier-Einheiten alle Truppenverbände ihre Fahnen und Standarten mit ins Feld nehmen sollen. Für die Infanterie-Regimenter waren das eine Fahne pro Bataillon, die von einem Unteroffizier getragen wurde. Dabei sollte die Fahne nur zu Paraden und im Gefecht offen geführt, ansonsten eingerollt in einem Überzug aus schwarzem Wachstuch getragen werden. Zum Schutz der Spitze war seit dem 13. Juni 1842 eine gelbmetallene Kappe vorgeschrieben, die am Überzug befestigt wurde.

Trageweise des Fahnenüberzugs mit SpitzeEin gesondertes Bandolier zum Tragen der Fahne bzw. Standarten existierte nur für die Kavallerie-Einheiten, bei der Infanterie musste die etwa 3 Meter lange Stange freihändig getragen bzw. der Fahnenschuh an den Körper gedrückt werden. Der Überzug wurde bei ausgerollter Fahne unter der rechten Achselklappe durch zur linken Hüfte hin geführt und beide Enden unter das Koppel geklemmt.

Grundsätzlich weist das preußische Exerzier-Reglement von 1847 der Fahne auch die Funktion eines Mittels zur Ausrichtung der Bataillone zu, jedoch wird in die Vorschrift von 1888 der Passus aufgenommen, dass "im Gefecht die Fahne bei einer in Reserve gehaltenen Kompagnie bleibt. Wird auch diese zuletzt eingesetzt, so geht die Fahne mit in die Feuerlinie, doch muß unter allen Umständen eine Sektion bei der Fahne bleiben." (Exerzir-Reglement für die Infanterie, 1888, Seite 78).

Auch wenn diese Vorsichtsmaßnahme noch nicht im geltenden Reglement für die preußische Infanterie im Jahre 1870 Gültigkeit besaß, wurde in der Infanterie besonders auf den Erhalt der Fahne geachtet. Nur zweimal gelang dies nicht und das Ehrenzeichen eines Bataillons ging (teilweise) verloren.

Zunächst traf es das zweite Bataillon im 3. Westfälischen Infanterie-Regiments Nr. 16 während der Schlacht von Mars la Tour am 16. August 1870. Die Regimentsgeschichte (Berlin 1880) berichtet ausführlich im für die 1880er Jahren üblichen Pathos auf den Seiten 275 und 276 dazu:

"Inzwischen war Dunkelheit hereingebrochen. Auf Befehl des Korpskommandeurs ging der Rest des Regiments auf Tronville zurück ... Hier erst zeigte es sich, welche enormen Opfer der Tag dem Regiment gekostet hatte. Ueber zwei Drittel der Offiziere waren außer Gefecht gesetzt, dementsprechend wurden auch Mannschaften vermißt ...
Die Fahne des 2. Bataillons fehlte, die des 1. wurde, von einer Kugel beschädigt, vom 2. Bataillon zurückgebracht. Am andern Morgen fand sich auf dem Schlachtfelde, von Leichen umgeben, von der Fahne des 2. Bataillons der untere Theil der Fahnenstange mit dem Ringe und einzelnen Ueberresten des Fahnentuchs, der andere Theil der Fahnenstange mit der Spitze und den Bändern mußte, wie nicht anders angenommen werden konnte, eine Beute des Feindes geworden sein ... Was genaue Nachforschungen ergaben war Folgendes:
Wahrscheinlich hatte durch eine Verwechslung beim Aufbruch aus dem Biwak, das 1. Bataillon die Fahne des 2. und dieses die des 1. mitgenommen. Beim Vorgehen aus Mars la Tour befand sich die Fahne, also vermuthlich die des 1. Bataillons, bei der 8. Kompagnie. Der Fahnenträger, Unteroffizier Fröhlich, fiel sehr bald, der Kompagniechef, Hauptmann Scholten, ergriff sie darauf, als aber auch er erschossen wurde, nahm die Fahne der Sekondelieutenant Heidsick. Das heilige Panier hoch haltend, sah man ihn vorwärts eilen, auch er starb den Heldentod und unter seiner Leiche zog der noch bei der 8. Kompagnie befindliche Premierlieutenant v. Haeften die Fahne hervor, um sie nicht wieder aus der Hand zu lassen.
Die vom 1. Bataillon mitgenommene Fahne des 2. befand sich bei der 4. Kompagnie. Auch hier blieb sehr bald der Fahnenträger, Sergeant Andres, von den zur Fahnensektion gehörenden Unteroffizieren wurden die Unteroffiziere Brüsermann, Erkenbölling und Strohdotter erschossen, der Unteroffizier Rahe wurde schwer verwundet, der Unteroffizier Klein, durch eine Kugel in den gerollten Mantel betäubt, zu Falle gebracht, wodurch er von der Kompagnie abkam. Unter diesen Verhältnissen und durch den Umstand, daß von den Offizieren der 4. Kompagnie der Kompagniechef, Hauptmann v. Arnim, und der Sekondlieutenant Schwarz gefallen, Lieutenant Schmieding verwundet waren und der Verlust der 4. Kompagnie an Todten und Verwundeten 109 Unteroffiziere und Mannschaften betrug, ließ sich nur konstatiren, daß nach dem Tode des Fahnenträgers der Lieutenant Schwarz die Fahne bis zu seinem Tode, der Fahnenunteroffizier Rahe sie bis zu seiner Verwundung in der Hand gehabt hatten, wer sie nachher ergriffen, ist nicht festzustellen gewesen."

Endgültig verloren ging die Fahne des zweiten Bataillons vom 8. Pommerschen Infanterie-Regiment Nr. 61 kurz vor Waffenstillstand am 23. Januar 1871 bei Pouilly nahe Dijon. In der Regimentsgeschichte zum Regiment Nr. 61 von Henning (Berlin 1887) ist auf Seite 209 und 210 zu lesen:

"Als so unter den Wogen des unentschiedenen Kampfes der Abend hereingebrochen war, entschloß sich Premierlieutenant Luchs, das, was ihm am Tage nicht geglückt war, nun noch einmal unter dem Schutze der Dunkelheit zu versuchen, einen letzten Sturm auf das Fabrikgebäude.
Den Befehl hierzu erhielt die 5. Kompagnie, welche bisher die wenigsten Verluste gehabt hatte.
Da diese Kompagnie außerdem seit Beginn des Vorrückens den beiden anderen Kompagnien als 2. Treffen gefolgt war, so war an sie auch von der 7. Kompagnie die Fahne des Bataillons abgegeben worden und befand sich noch bei derselben in diesem verhängnisvollen Momente.
Es war 6 Uhr Abends.
Verlust der Fahne II/61 bei Pouilly am 23.1.1871Premierlieutenant Weise, der Führer der Kompagnie, sprang, das Zeichen zum Angriff gebend, mit geschwungenem Degen aus der deckenden Kiesgrube und stürmte als der Erste mit weithin schallendem 'Marsch, Marsch, Hurrah!' auf den Feind. Entschlossen und ohne Zögern folgte die Kompagnie, Allen voran der Fahnenträger Sergeant Pinke, mit dem erhobenen Feldzeichen. Ein verheerendes Schnellfeuer aus sämmtlichen Fenstern und Schießscharten der Fabrik empfing die Stürmenden. Verwundet fiel Premierlieutenant Weise, dann stürzte nach wenig Schritten der Fahnenträger, von vielen Kugeln getroffen, zu Boden, noch im Tode die Fahne fest umklammernd. Rasch faßte jetzt der Sergeant Breitenfeldt dieselbe. Doch war es ihm nicht vergönnt, sie zu erheben. Ein schneller Tod raffte ihn und die ganze Fahnensektion in wenig Augenblicken dahin. Nun eilte Lieutenant Schulze herbei, riß die Fahne unter den Leibern ihrer treuen Hüter hervor, und, hoch sie schwingend, trug er sie der Kompagnie vorauf in den Kugelregen. Auch er fiel, aus zwei Wunden entströmte sein junges Leben. Da erblickte die sinkende Fahne der Adjutant, Lieutenant v. Puttkamer, sprang eilends, schon aus einer Kopfwunde blutend, vom Pferde, ergriff das Feldzeichen und mit dem Rufe 'Vorwärts!' es erhebend führte er die tapfere Kompagnie unaufhaltsam weiter. Der alte preußische Schlachtruf 'Vorwärts!' war aber sein letztes Wort auf Erden. Dicht unter den Mauern der Fabrik, von vielen Kugeln getroffen, hauchte der letzte Träger der Fahne des II. Bataillons sein Leben aus. Wohl eilten noch der Tapferen Viele zur Rettung herbei, doch gelang es Keinem. Alle fielen! Eine Heldenschaar, im Tode erblaßt, hielt über dem gesunkenen Zeichen die Fahnenwacht. Nur wenigen Resten der gänzlich aufgeriebenen Kompagnie gelang es, die noch vor wenigen Augenblicken voll frohen Kampfesmuthes verlassene Kiesgrube wieder zu gewinnen.
Als nun hier das Häuflein gewahr wurde, was infolge des Pulverdampfes und der Dunkelheit nicht eher gesehen worden, daß Keiner die Fahne wiedergebracht, gingen nacheinander zwei Abtheilungen Freiwilliger vor, um die Fahne zu suchen. Vergeblich, sie Alle fanden den Tod bis auf Einen, den Musketier Schumacher, der, blutend und vom Feinde verfolgt, unverrichteter Sache wiederkehrte."

Chasseurs du Mont-Blanc (Brécourt/Louis)In der Histoire Populaire von L. Rousset findet sich auf den Seiten 1738 bis 1740 eine Beschreibung des Kampfes aus französischer Sicht. Verteidiger waren Truppen des Korps von Garibaldi und es war der Soldat Curtal, ein Jäger des Mont-Blanc, der erkannt hatte, dass beim Rückzug der letzten Überlebenden vom Infanterie-Regiment Nr. 61 die Fahne "vergessen" wurde. Curtal sah das Niederfallen des letzten Trägers etwa 100 Meter von der verteidigten Fabrik entfernt und trat nach dem Rückzug der Preußen durch eine kleine Tür ins Freie. Er riss die Fahne mitsamt Stange aus den Händen des verwundeten Preußen. Noch beim Zurückbringen der Fahne auf seiner Schulter wurde die Stange durch einen Schuß beschädigt. Die Fahne wurde später Garibaldi übergeben, von dort wanderte sie über das Artilleriemuseum im Jahre 1885 in das französische Armeemuseum. Eine Zeichnung von Pallandre zu diesem Gefecht am 23.1.1871 findet sich im Werk von Rousset und ist daher diesem Beitrag beigefügt. Zudem ist noch die Tafel aus dem Werk von Brécourt angefügt, die den Jäger Curtal von den Chasseurs de Mont-Blanc im Moment der Rückführung der erbeuteten Fahne zeigt. Diese Einheit bestand aus einer Kompanie von 4 Offizieren und 120 Jägern, die sich am 1. November 1870 im Departement Savoie formierte.

Der oben abgebildete Fahnenträger ist Sergeant Reimann vom Königs-Grenadier-Regiment Nr. 7, der mit den beiden anderen Fahnenträgern seines Regiments am 18. Januar 1871 zur Kaiserproklamation nach Versailles entsandt wurde. Dort nahm der Fotograf H. Schnaebeli die diversen Abordnungen auf und veröffentlichte sie in einem seltenen Prachtband - die Aufnahme stammt aus der Serie, die vom Historischen Bilderdienst vertrieben wird und dem ich für die Veröffentlichung hier danke.

Führte die französische Kavallerie ihre Standarten ins Feld?

Nachdem sich das vorige Kapitel um die erbeuteten preußischen Fahnen drehte, soll nun die Frage geklärt werden, ob die französische Kavallerie ihre Standarten mit ins Felde führte. Aus den Napoleonischen Kriegen ist schon die Praxis der leichten Kavallerie bekannt, die Standarten im Depot zu belassen, jedoch wie sah es bei der französischen Kavallerie im Krieg von 1870/71 aus?

Zunächst lässt sich auf den zahlreichen Darstellungen von Kavallerieeinsätzen in Schlachten und Gefechten kein Emblem französischer berittener Truppen erkennen, daher soll ein Blick auf das umfangreiche Werk von Gustav Lehmann über die preußischen Trophäen geworfen werden. Dort finden sich tatsächlich Hinweise auf drei erbeutete Kavalleriefahnen, nämlich:

  • Standarte M1854 der französischen 8. Dragoner 1870Adler des 3. Dragoner-Regiments (erbeutet bei der Kapitulation von Toul am 23. September 1870)
  • Standarte des 5. Dragoner-Regiments (erbeutet bei der Kapitulation von Metz)
  • Standarte des 8. Dragoner-Regiments (ebenfalls erbeutet bei der Kapitulation von Metz)

Beim Blick in die Regimentsgeschichte der 3. Dragoner des Capitaine Bonnières de Wierre (erschienen 1892) wird auf Seite 124 geschrieben, dass deren Depot von Pont-à-Mousson nach Toul verlegt wurde, dem Ort, wo der Adler durch die Preußen erbeutet wurde. Zwar wurde das Depot am 17. August nach Tours verlegt, doch da das Regiment bis zur Kapitulation in Metz verblieb, ist davon auszugehen, dass die Standarte des Regiments in Toul verblieb.

Die Geschichte des 5. Dragoner-Regiments von Saint-Just (erschienen 1891) schreibt auf Seite 338, dass in den ersten Augusttagen 1870 in Metz ein "kleines Depot" eingerichtet wurde - nachdem die mobilisierten Schwadronen bei Rezonville und Saint-Privat kämpften, kehrten sie nach Metz zurück, wo sie Ende Oktober in die Gefangenschaft gingen. Auch hier ist davon auszugehen, dass die von den Preußen erbeutete Standarte in besagtem "kleinen Depot" eingelagert wurde.

Für das 8. Dragoner-Regiment existiert keine gedruckte Geschichte, die den Deutsch-Französischen Krieg berücksichtigt, daher kann aus einer derartigen Quelle kein Rückschluss über deren Aufbewahrung bzw. Führen der Standarte ziehen.

Chasseur 1re classe der 5. französischen Jäger zu Pferd um 1870 (Sammlung Markus Stein)Eine umfangreiche Zusammenfassung des Verbleibs der französischen Fahnen und Standarten ist im Werk des französischen Experten Pierre Charrié (erschienen 1992) zu finden. Dort listet er für alle Regimenter der französischen Garde und Linie das Schicksal der unterschiedlichen ausgegebenen Modelle auf - in der folgenden Auflistung der Kavallerieeinheiten sind nicht die drei oben erwähnten Regimenter aufgeführt:

  • In Depots der Regimenter bzw. Arsenalen: 1. Kürassiere, 2. Kürassiere, 3. Kürassiere, 4. Kürassiere, 5. Kürassiere, 6. Kürassiere, 9. Kürassiere, 6. Dragoner, 9. Dragoner, 10. Dragoner, 12. Dragoner, 1. Lanciers, 2. Lanciers, 4. Lanciers, 5. Lanciers, 6. Lanciers, 7. Lanciers, 8. Lanciers, 1. Chasseurs, 2. Chasseurs, 3. Chasseurs, 7. Chasseurs, 8. Chasseurs, 9. Chasseurs, 10. Chasseurs, 11. Chasseurs, 12. Chasseurs, 1. Husaren, 2. Husaren, 3. Husaren, 4. Husaren, 5. Husaren, 6. Husaren, 7. Husaren, 8. Husaren, 1. Chasseurs d'Afrique, 1. Spahis, 2. Spahis, 3. Spahis, Kürassiere der Garde, Karabiniers der Garde, Dragoner der Garde, Jäger zu Pferd der Garde, Lanciers der Garde, Guides der Garde
  • Zerstört in Straßburg oder Metz im Laufe der Kapitulation: 7. Kürassiere, 8. Kürassiere, 10. Kürassiere, 2. Dragoner, 7. Dragoner, 3. Lanciers, 4. Chasseurs, 5. Chasseurs
  • Unbekannter Verbleib im Krieg: 1. Dragoner, 4. Dragoner, 11. Dragoner, 6. Chasseurs, 2. Chasseurs d'Afrique, 3. Chasseurs d'Afrique, 4. Chasseurs d'Afrique

Abzeichen eines Chasseur 1re classe der französischen Jäger zu PferdViele der in den Depots befindlichen Standarten wurden 1871 und 1872 zerstört, da sie Symbole für das untergegangene Kaiserreich waren und die Regimenter dann neue republikanische Embleme erhielten. Auch für meisten der in Straßburg und Metz durch die französischen Truppen zerstörten Standarten schreibt Charrié, dass sie dort hinterlegt wurden und nicht in das Feld geführt wurden. Capitaine Richard schreibt in seinem seltenen Werk "La Garde" auf Seite 288:

"Quant aux étendards de la division de cavalerie et des régiments d'artillerie de la Garde qui avaient déposés à l'arsenal dès le début de la campagne, ils furent détruits sur l'ordre du colonel de Girels, par le garde principal d'artillerie Grivaux. La soie fut brûlée à la forge, les hampes également; les aigles brisées et émiettées furent mises dans un panier et enterrées."

Aus diesen unterschiedlichen Quellen lässt sich daher sagen, dass die französische Kavallerie - egal ob leicht oder schwer - ihre Embleme mit großer Wahrscheinlichkeit nicht ins Feld führten, sondern sie in Depots oder Arsenalen beließen. Das Beispiel des 5. Dragoner-Regiments zeigt, dass auch im Laufe des Feldzuges ein vorübergehendes Depot eingerichtet wurde. Die in Straßburg oder Metz vernichteten Standarten könnten in ähnlicher Weise dort noch vor der Belagerung durch die deutschen Truppen deponiert worden.

Rundschreiben vom 23.7.1870 zu den französischen Fahnen und StandartenIm erwähnten Werk von Pierre Charrié ist ein Rundschreiben des französischen Kriegsministeriums vom 23. Juli 1870 abgebildet, das hier als Grafik beigefügt ist und den Befehl äußert:

"Général, il a été décidé que les régiments d'infanterie de l'armée du Rhin emporteraient leurs drapeaux, mais que ceux de Cavalerie laisseraient leurs étendards aux dépôt du corps."

Talpack, Säbel der leichten Kavallerie M1822 und Säbeltasche der 5. französischen Jäger zu PferdDer hier noch präsentierte Chasseur 1re Classe des 5. Regiments Jäger zu Pferd (Sammlung Markus Stein) ließ sich noch vor dem Krieg von 1870/71 mit seiner Kopfbedeckung, dem mit schwarzem Schaffell überzogenen Talpack und Koppel mit Säbeltasche und dem Säbel der leichten Kavallerie M1822 fotografieren. Ob er die Vernichtung der Standarte seines Regiments in Metz mit erlebte, ist nicht zu ermitteln. Jedoch könnte er im Falle einer Teilnahme am Krieg gegen die deutschen Truppen das Los  vieler Kameraden, nämlich den Gang in die Gefangenschaft nach Deutschland, erlitten haben. Im zweiten Band des Werkes über die Uniformen und Ausrüstung der Armeen von 1870/71 sind auf den Seiten 232 bis 237 einige Originalstücke wie ein Talpack oder der dunkelgrüne Dolman abgebildet. Ein schönes Exemplar des Säbels M1822 findet sich bei den Husaren auf Seite 243.

Klagen über das Leben im Felde und die Monturen

Die Erfahrungen des Deutsch-Französischen Krieges hinsichtlich Nutzen von Uniformeffekten, von Ausrüstungsstücken und den Hand- und Blankwaffen wurden schnell nach Eintreten des Waffenstillstandes bzw. nach Rückkehr der Einheiten in die Heimat formuliert. So finden sich in den Regimentsakten Berichte der einzelnen Einheiten - bis auf Kompanieebene hinab - mit ihren Erfahrungen zu den o.g. Punkten, zum Teil auch erweitert um Eindrücke zu Versorgung, Ernährung, Gesundheit sowie zur Taktik. Einige dieser Berichte finden sich zusammengefasst in den Regimentsgeschichten - zwei Beispiele aus der bayerischen sollen hier präsentiert werden.

Bayerisches Infanterie-Regiment Nr. 9 Wrede - Einjährig-Freiwilliger Oehrlein der 5. Kompanie (Sammlung M. Stein)So findet sich in der Regimentsgeschichte des bayerischen 9. Infanterie-Regiments Wrede (Würzburg 1895) auf den Seiten 141 bis 142 der folgende Erfahrungsbericht:

"Von den Kleidungsstücken litten die Hosen und das Schuhwerk (Bundschuhe) am meisten, letztere insbesondere wegen Mangels an Lederschmiere während der nassen Jahreszeit. Der Nachschub an diesen Stücken war, wie bei allen andern Sachen nicht immer genügend, auch wird über Abgabe von zu kleinen Nummern und über die geringe Qualität geklagt. Auch die Mäntel nützten sich rasch ab, schützten auch ungenügend gegen strenge Kälte, so daß man den Posten vor Paris wollene Decken, Kapuzen und anfangs Dezember jedem Bataillone 19 Pelzmäntel gab. An Wäsche, Socken u.s.w. war kein Mangel, hier halfen auch Liebesgaben aus der Heimat nach. Die Helme hielten gut aus, doch gingen manche verloren oder wurden unbrauchbar, so daß die Schützenzüge fast überall nur mit Mützen versehen waren, ein Mangel, der bei Regenwetter übel empfunden worden ist. Tornister, wie überhaupt das Lederzeug, gaben zu Klagen keinen Anlaß.

Die Verpflegung, in Bezug auf Güte naturgemäß oft wechselnd, konnte vor Paris nicht mehr durch Requisition, wie bisher erfolgen, sie mußte durch die Proviantkolonnen geschehen, die in Corbeil, später in Versailles gefüllt wurden. Anfangs ging es sehr knapp her, es erhielt jeder Mann ½ Pfund Fleisch, ½ Pfund Brod, ¼ Liter Wein. Später konnten auch diese Portionen öfters nicht geliefert werden und trat theilweise Geldvergütung ein. Dann wurde die Gebühr an Fleisch auf ⅔ Pfund, an Brod auf 1 Pfund erhöht. Übrigens hörte das Ochsenfleisch bald auf, das Hammelfleisch kam zur Herrschaft und dann rasch in Verruf, da es zum Teil nicht richtig zubereitet wurde und die Abwechslung fehlte. Gemüse und Obst fand sich in vorzüglicher Güte und in Menge, Kartoffeln sammelte man auf den Feldern. Von Konserven kam nur die Erbswurst zum Vorschein. Mit welcher Freude würde alles das heutige Büchsenfleisch, die Gemüsekonserven u.s.w. begrüßt haben, die sich im Frieden geringere Beliebtheit erfreuen und für den Feldsoldaten doch so nothwendig und segensreich sind. Wein fand sich in großen Quantitäten vor, wurde von den glücklichen Entdeckern wohl auch nicht immer bis auf den letzten Rest abgeliefert, that aber doch treffliche Dienste. Überhaupt hing es meist von der Findigkeit einer Truppe ab, ob sie besser oder schlechter verpflegt war. An Tabak und Cigarren war beständiger Mangel, obgleich vom 15. Oktober ab täglich eine Gebühr von solchen geliefert werden sollte. Die "Liebescigarren" welche als Spende aus der Heimat verteilt wurden, sind teilweise in üblen Geruch gekommen, da sie oft nur im Freien zu rauchen waren.

Wie den Menschen ging es auch den Pferden, oftmals trat empfindlicher Mangel an Fourage ein.

Die Gewehre blieben im Allgemeinen brauchbar, doch kamen viele Ladestörungen vor und bei nasser Witterung litten die Patronen infolge der Papierhülse stark. Auch ließ sich der Hebelgriff oft nur mit Aufwand großer Kraft in Bewegung setzen."


Helm der bayerischen InfanterieVielleicht war ja auch der hier präsentierte Einjährig-Freiwillige mit Namen Oehrlein (Foto aus der Sammlung M. Stein), der in der 5. Kompanie des Infanterie-Regiments Nr. 9 diente, an der Anfertigung des Berichts für seine Kompanie beteiligt. Er trägt den polierten Helm der bayerischen Infanterie vom Modell 1868, erkennbar an den Lederriemen und der deutliche erkennbaren Trennung von Messingkrone vom Monogramm. Die Abzeichenfarbe des Infannterie-Regiments Nr. 9 war karmesinrot, die an Kragen und Ärmelaufschlägen zu erkennen war, dazu noch Messingknöpfe. Das Kennzeichen des Einjährig-Freiwilligen war auch in der bayerischen Armee eine in alternierenden Farben gestaltete Wollschnur, für die bayerische Armee weiß-blau.

 Aber es soll hier auch noch ein weiterer Bericht präsentiert werden, nämlich derjenige des bayerischen 14. Infanterie-Regimetns Hartmann, der in der Regimentsgeschichte enthalten ist und noch im Frühjahr 1871 in Frankreich angefertigt wurde:

"Hinsichtlich der Gefechts- und Felddienstvorschriften äußern sich die Bataillone und Kompagnien übereinstimmend dahin, daß sie sich im allgemeinen sehr gut gewährt hätten, vor allem auch deshalb, weil der Selbsttätigkeit der Unterführer keine zu engen Grenzen gezogen seien. Die taktischen Formen sollten sich im übrigen nur auf das einfachste beschränken, was nicht einfach ist, sei im Kriege absolut unbrauchbar. Die gemeinsame Verwendung und gegenseitige Unterstützung der 4 Schützenzüge des Bataillons habe keine Verwendung gefunden; vielmehr habe es sich als praktischer erwiesen, grundsätzlich Plänkeln und Unterstützung von einer Kompagnie zu nehmen. Sehr empfohlen wird es, die Unteroffiziere in der Führung der Züge, ja sogar der Kompagnien zu üben, da sie im Kriege nicht selten vor diese Aufgabe gestellt würden. Der einzelne Mann aber müsse im Gefechte selbständiger werden und lernen, das Gelände besser zu seiner Deckung auszunützen. Gewarnt wird davor, das Infanteriefeuer auf zu große Entfernungen zu eröffnen, da es wenig Erfolg habe und als ein Zeichen von Schwäche nur zur Aufmunterung des Gegners diene. Allgemein anerkannt wird die von den Mannschaften bei allen Gelegenheiten stets gezeigte Disziplin. In ihrer Aufrechterhaltung beruhe die Kraft der Armee; sie sei es, die auch im Feuergefechte dem Führer selbst in den gefährlichsten Momenten seinen Einfluß sichere und die es verhindere, daß die dem einzelnen Schützen zu gewährende Selbständigkeit und Selbsttätigkeit in ein regelloses Tun und Treiben ausartete. Wir sehen, es sind vorzügliche, echt soldatische Anschauungen, die unsere Kompagnie-Führer damals unter dem frischen Eindruck des Krieges niedergelegt haben, Grundsätze auf denen nunmehr endlich unsere "modernen" Gefechtsvorschriften aufgebaut sind.

Auf die Bewaffnungsfrage gingen die Berichte nicht ein, da sie durch dass in der Einführung begriffene Werder-Gewehr befriedigend gelöst sei. Dagegen war am der Ausrüstung und Bekleidung mancherlei auszusetzen. Der Helm habe sich als zu schwer erwiesen, mancher Infanterist sei durch dessen drückendes Gewicht am Weitermarsche verhindert worden. Aber auch gegen den neueingeführten, leichteren Helm wurden Bedenken laut, da auch er noch zu schwer sei und durch das glänzende Beschläge ein weit sichtbares Ziel biete. Im Vorposten- und Patrouillendienst vor Paris mußte deshalb der Helm stets abgenommen werden. Als ganz besonders unzweckmäßig wurden die Helmkämme (Raupen) bezeichnet, die bei längerem Regen sehr schwer würden und sich so vollsaugten, daß das Wasser aus ihnen über das Gesicht herablaufe. Für die Brotsäcke wurde Herstellung aaswasserdichtem Stoff gewünscht. Die Feldflaschen sollten statt aus Glas aus einem unzerbrechlichen Material, etwa aus Blech gefertigt werden. Statt der einen, rückwärts getragenen Patrontasche wurden zwei vordere Taschen für zweckmäßiger gehalten. In diesen ließen sich auch mehr Patronen tragen; denn die Unterbringung der Hälfte des ganzen Patronenvorrats in den beiden Seitentäschchen des Tornisters habe das Bedenken, daß das Herausnehmen der Patronen im Gefecht schwierig und nur unter Beihilfe eines zweiten Mannes möglich sei.

Detailansicht des Rocks eines Einjährig-Freiwilligen der bayerischen InfanterieGanz verworfen wurden allgemein die Bundschuhe, da bei Regen und bodenlosen Wegen Wasser und Schmutz, bei trockenem Wetter Staub und Sand durch den weit herabgehenden Schlitz leicht eindrangen und dem Manne das Marchieren erschwerten, was häufiges Austreten und Zurückbleiben zur Folge hatte. Es wurde deshalb der Wunsch nach Einführung eines nahe an das Knie reichenden, weichen Schaftstiefels geäußert, der gestattete, die Hose in den Schaft zu stecken.

Für den Waffenrock wurde größere Brust- und Ärmelweite und ein weiterer Kragen gewünscht. Das Tragen des Mantels über die Brust beenge den mann beim Atmen und erschwere ihm den Anschlag und die Handhabung des Gewehres; endlich empfahlen viele Kompagnien die Einführung einer andersfarbigen, etwa grauen Hose, da sich die bisherige viel rascher abnütze, wie der Waffenrock und beide dann im Tuch nicht mehr zusammenstimmten."

Diese beiden Berichte geben schon einen ersten Eindruck darüber, welche Defizite die Soldaten im Felde erleiden und sich teilweise mit zahlreichen Improvisationen behelfen mussten. Im Ende 2022 erscheinenden Buch 1870/71 in Farbe - Uniformierung und Ausrüstung. Persönliche Erlebnisse deutscher Soldaten im Deutsch-Französischen Krieg werden neben einem umfangreichen Bericht eines preußischen Infanterie-Regiments auch zahlreiche Eindrücke von Teilnehmern der deutschen Truppen wiedergegeben.